Hamburg, 15. April 2023. Wenn man es nicht aus eigener Erfahrung wüsste, würde man es wohl kaum glauben. Die Rede ist von einer Berufsgruppe, die gerichtlich für die Betreuung hilfsbedürftiger Menschen beauftragt wird. Für diese vertrauens- und verantwortungsvollen Aufgaben werden oft Rechtsanwälte eingesetzt. Dass die juristische Ausbildung gleichwohl keine Garantie für eine ordnungsgemäße Betreuung ist, belegt das bezeugte Beispiel der Anwältin N.R. aus einer Sozietät in Hamburg-Volksdorf.
In dem betreffenden Fall ging es um die gesundheitliche und persönliche Fürsorge sowie finanzielle und unternehmerische Interessenvertretung einer über 70-jährigen Frau, die an Demenz erkrankt und geschäftsunfähig geworden ist. Die vom zuständigen Amtsgericht berufene Betreuerin erfüllte nicht einen einzigen Punkt ihrer umfassenden Vollmacht. Bis zu Ihrer Abberufung nach 14-monatiger (Un-) Tätigkeit hatte sie nicht ein persönliches Gespräch mit der von ihr zu betreuenden Person geführt. Nach Auskunft der Haushälterin soll sie in der ganzen Zeit höchstens zwei Mal vor Ort gewesen sein und ihre Anweisungen nur telefonisch erteilt haben. Selbst zu den erforderlichen Arztbesuchen hatte sie die Patientin nicht begleitet und stattdessen einfach die polnische Hilfskraft trotz mangelnder Sprachkenntnisse beauftragt, stellvertretend mit dem Neurologen die weitere Behandlung zu besprechen. Die regelmäßige Einnahme der täglich verordneten Tabletten waren ihr ebenso gleichgültig, wie Erkundigungen nach dem labilen Wohlbefinden der unglücklichen und häufig weinenden Frau.
Großes Engagement und Unterstützung zeigte die herzlose Betreuerin indes beim ebenso rücksichtslosen Sohn. Obgleich die Juristin über seine dubiosen Geschäfte zum Schaden seiner hilflosen Mutter informiert war, liess sie ihn weiter gewähren. Er hatte zuvor mehrere Immobilien der Familie zu unerklärlichen Dumpingpreisen teilweise an seinen besten Freund verscherbelt. Statt die Aktivitäten zum Schaden der betreuten Frau detailliert zu hinterfragen und weitere Verkaufsverluste zu verhindern, machte die scheinbar eigennützige Juristin möglicherweise sogar gemeinsame Sache mit dem offenbar unter Geldnot leidenden Geschäftsführer der Familienfirma. So veranlasste sie eigenmächtig eine Schätzung des hochwertigen Anwesens durch eine Immobilienmaklerin, deren fachliche Kompetenz sich auf ein ganz anderes Gebiet in 30 Kilometer Entfernung begrenzt. Vermutlich hatte Frau N.-R. mit dem Sohn geplant, die kranke Mutter einfach in einem Heim unterzubringen und die hochwertige Privatimmobilie über eine persönlich gut bekannte Geschäftsfreundin zu verkaufen. Bevor es dazu kam, veranlasste das Gericht nach mehrfacher Intervention den überfälligen Betreuerwechsel. Angeblich, so die aufschlussreiche Begründung, auf den nicht näher interpretierten Wunsch der auffallend pflichtverletzend handelnden Anwältin.
Fazit: Dieses Beispiel unterstreicht die Problematik im deutschen Betreuungswesen. Gerüchte um Korruption, Machtmissbrauch und fehlende Qualifikation belasten das Vertrauen in diese Berufsgruppe. Obgleich es auch viele gewissenhafte und fähige Kräfte gibt, so werden von einigen Gerichte immer wieder solche gesetzlichen Vertreter wie die hier thematisierte Anwältin bevorzugt. Auch deshalb verfügen immer mehr Menschen in ihren Testamenten, im eigenen Bedarfsfall unter keinen Umständen von gerichtlich eingesetzten Betreuern vertreten werden zu wollen.
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